Ja, also, ich weiß auch nicht, wie das genau passiert ist. Eigentlich wollte ich einen Arbeitskollegen zum nächstgelegenen HDH begleiten und den Laden ein wenig beschnuppern, mehr nicht, ehrlich. Weil, der Kollege fährt eine 27 Jahre alte Sportster und will sich allmählich mal nach einer neuen - oder neueren - HD umtun. Und da sagt er mir, kaum im Laden eingetroffen, dass er nur gucken will, nicht fahren. Weil, und das ist jetzt wirklich nicht HD-Rocker-mäßig, seine Frau ihm mit Kopfabriss gedroht hat, wenn er auch nur auf ein 15.000-Euro-Bike schielt. Hahö! Was kann diese Frau - Telepathie oder Gedankenkontrolle? Stattdessen kauft er am Ende ein rosafarbenes HD-T-Shirt für sein vierjähriges Töchterchen. Öhm. Ich weiß ja nicht, ob das psychtaktisch ein kluges Vorgehen war.
Ja, und dann schiebt mich der Kollege nach vorn und betont etwas zu laut, dass ich gerade meinen Erstkontakt mit Harley Davidson habe, worauf der junge Mann/HDH auf einmal ganz wuselig wird und mich quasi dazu gezwungen hat, eine Probefahrt mit einer Street Bob zu machen. Ehrlich jetzt!
Vor der Fahrt stelle ich ein paar Fragen. Wie schwer isse denn? Och, kriege ich zur Antwort, nicht viel, nur 297kg. Aha ... Aber, auf dem 680 mm niedrigen Sitz Platz genommen und den Mini-Ape ergriffen, passiert das erste Wunder: Die Maschine fühlt sich mind. 70kg leichter an. Und der Mini-Ape ist irgendwie unerwartet cool und liegt echt gut in den Händen. Ein erstes Yeah!-Gefühl stellt sich ein. Und dann der Druck auf den Starter: Die Maschine erwacht zum Leben, um es mal verdient pathetisch auszudrücken. Sie schüttelt sich, bollert nach ein paar Links-rechts-Zuckungen los, man denkt, man hat einem Tier auf den Schwanz getreten und erntet ein böses Knurren. Einem Tief mit großen Zähnen womöglich ... Na ja, und dann sagt der junge Mann von HD, ich solle doch mal auf diesen Knopf am linken Lenkerende drücken (Klappensteuerung der Vance & Hines), und als ich das gemacht habe und leicht am Gas lupfe, wie soll ich sagen, der Himmel tat sich auf, es regnete glitzernden Feenstaub, und ich hörte Posaunen, die ich sonst nur mit Jericho in Verbindung gebracht hatte. Okay, ich übertreibe. Aber eines ist wahr: Ich bekam den Mund nicht mehr zu und vom Dauergrinsen ein trockenes Gebiss. Außerdem Gänsepelle vom Steiß bis in den Nacken für die Dauer der Probefahrt.
Ja, was?! Wieso kann diese Harley das, warum ist sie zu so etwas in der Lage? Warum tut sie mir das an?!! Erst einmal, mit so etwas hatte ich nicht im Geringsten gerechnet. Für mich war diese Marke so weit weg, wie der Mond. Aber da ist etwas, möglicherweise speziell an diesem Modell, was mich schwer ins Denken gestürzt hat?
Eigentlich, so mein ständiger Konter, kann sie meiner CB in keinster Weise das Wasser reichen. Okay, sie ist ordentlich verarbeitet, sieht schon echt gut aus in meinen Augen, und sie ist so schlicht gehalten, wie ich es an Motorrädern liebe: minimalistisch in der Ausstattung, totales Understatement, hier in der Form eines waschechten Bobbers. Das LC-Display ist in die Lenkerklemmung integriert und kann und darf auch mal außer Acht gelassen werden beim gemütlichen Bobbern. Bei Bedarf zeigt es aber doch nicht wenige Infos an. Sie ist wendig, die Street Bob, keine Frage, bei knapp 29° Schräglagenfreiheit und schmalen Schuhen, vorn 100/90B19, hinten 150/80B16, und der Motor mit 1745ccm, 86 PS und 145 Nm Drehmoment ist ein Spielzeug vorm Herrn! Jau, ich sage bewusst Spielzeug, denn brauchen tut man sowas ja mal nicht, oder? Andererseits, was heißt schon "brauchen" ... Getriebe u. Kupplung haben eher grobmechanisches Flair. Die Gänge rasten präzise ein (von der Handkraft u. der Anmutung her sehr an die NC erinnernd), sind gut übersetzt, nicht zu lang, nicht zu kurz. Abgesehen vom 6. Gang, der ein reiner Overdrive ist: 2200 U/min. bei 100 km/h.
Die Street Bob hat, und vielleicht hat mich das am Meisten überrascht, ein recht gutes Fahrwerk, das eine ziemlich brauchbare Performance abliefert. Was da für Schluffen aufgezogen waren, weiß ich nicht, aber sie funzten unauffällig gut und umkränzten schicke Speichenfelgen. Allerdings vermute ich, da stecken Schläuche drin. Die Federung war absolut ausreichend bis gut, und ich bin ein paar deftige Holperstrecken gefahren. Nichtsdestotrotz, da schlug nichts durch! Auf der anderen Seite war die Einstellung auch nicht zu soft. Die Kurvenlage will ich mal als stramm und zielgenau umschreiben. Der Neunzehnzöller vorne liegt gut im Wind! Während die Hinterradbremse nur so etwas wie eine Zierde darstellt, kneift die Vorderradbremse sehr angenehm zu. Würde sagen, besser als meine Doppelscheibenanlage auf der CB. Die Street Bob hat nur eine Scheibe, eine 300er schätzungsweise. Und trotzdem! Sie hat einen ordentlichen Biss und verzögert überraschend energisch. Interessant auch, dass die Sitzposition in der Grundeinstellung (Fußrasten, Lenker, Sitz) im Grunde genommen sehr entspannt war - was von außen betrachtet überhaupt nicht so aussieht. Den Sitz an sich würde ich als Besitzer einer solchen Maschine allerdings so rasch wie möglich entsorgen - und einen besorgen, bei dem man beim Beschleunigen nicht ständig auf den Heckfender rutscht ...
Hm. Ist diese Street Bob ihren Preis von durchschnittlich 14.500 Euro wert? Ehrlich gesagt, ich denke, das ist zu viel Geld für eine so minimalistisch gehaltene Maschine. Anderseits, sie ist schon etwas Besonderes und sticht hervor. In erster Linie hat sie das dem V2-Motor zu verdanken, dem Milwaukee-Eight mit seinem tiefen Grollen und einer superweichen aber trotzdem direkten Gasanahme und einem irre geilen Schub aus dem tiefsten Drehzahlkeller heraus. Aber auch der Rest passt hierzu, ich würde sagen, das ist ein sehr harmonisches Bike mit überschaubaren Abmaßen und einer irgendwie frechen Attitüde. Wirkt schon beim Anschauen flink und ist es auch. Mit so einer Maschine verfolgst Du keinen bestimmten Zweck, da denkst Du in erster Linie ans Spaßhaben. Sie kann sehr schnell und bärig, aber auch tuckerig-entspannt, aber egal welche Gangart, sie bollert und grummelt, dass einem das Herz aufgeht ob dieser grundehrlichen und robusten Konstruktion. Und jetzt das Paradoxe: Sie wirkt insgesamt aber nicht ungehobelt oder gar überholt! Die Geräuschkulisse ist prächtig, aber selbst für meine eher empfindlichen Ohren nicht zu laut. Der Motor und das Fahrzeug als Ganzes steckt voller Vibrationen, die man aber nur und ausschließlich als positiv empfinden kann. Man hat schon das Gefühl, auf einem modernen Bock zu sitzen, nicht auf einem technischen Dinosaurier - zumal die Fahreigenschaften mit dem Versprechen einer ungeahnten Dynamik einher gehen. Dieses Motorrad strahlt ausschließlich positive Vibes aus!
Ich bin froh, dass mein Kollege mich dazu gedrängt hat, mitzukommen. Auch, dass er mir die Probefahrt abgetreten hat, sozusagen. Habe dadurch mit nach Hause genommen, dass Harleyfahren durchaus etwas Anderes ist, etwas Besonderes. Zumindest etwas, was keinen wirklich kalt lassen kann - das halte ich für ausgeschlossen. Wenn dieser Preis nicht wäre, ich glaube, dann könnte ich schwach werden.
Wie sehen die ehemaligen oder gegenwärtigen HD-Fahrer unter uns das? Ähnliche Erfahrungen und Eindrücke gesammelt beim "ersten Mal Harley Davidson"? Jederzeit wieder oder nie wieder? Sollte man wenigstens einmal im Leben als Motorradfahrer eine HD in der Garage stehen haben, leicht scherzhaft gefragt?
Gruß
Jörg