Tach, Gemeinde,
nach längerer Abwesenheit hier, deren Gründe gleich offensichtlich werden, melde ich mich aus anderen Gefilden wieder. Mein Arbeitgeber hat mich nach Südkorea verschifft, wo ich seit Anfang August lebe und jeden Tag zu lernen versuche, wie das Land und seine Leute ticken. Nach vier Monaten in Seoul ist es zu früh, ein Fazit zu ziehen, aber eines steht fest: alles ist in jeder Hinsicht völlig anders als in Europa und Deutschland im Speziellen. Wobei das auf den ersten Blick nicht so scheint: das Alltagsleben funktioniert wie bei uns, das Erscheinungsbild der Menschen ist meist sehr modisch, die Infrastruktur ist auf dem Stand, der Verkehr brummt, modern und neu sind beliebte Attribute für die Beschreibung dessen, was man sieht. Dahinter stehen jedoch jahrhundertealte Traditionen, ein sehr konservatives Gesellschaftsbild vor allem bei der älteren Generation und viele ungelöste Probleme bei der Bewältigung der großen Sprünge in die Moderne, was für latent konfliktträchtige Auseinandersetzungen in der Bevölkerung sorgt. Als Ausländer betrifft einen das schon wegen der hohen Sprachbarriere nur am Rande, man bekommt es aber mit. Abgesehen davon ist das Leben hier durchaus angenehm, man hat uneingeschränkte Bewegungsfreiheit, kann auf sehr gut ausgebaute Verkehrs- und Kommunikationsstrukturen zugreifen und kommt gut zurecht. Auf die politische Problematik mit Nordkorea gehe ich hier bewußt nicht ein, das ist ein mehr als abendfüllendes Thema.
Genug der Vorrede: ein wesentlicher Bestandteil des Umzugsgutes war ja auch meine NC 750X, die nach umfangreichen administrativen Vorbereitungen jetzt auch hier zugelassen ist und (ganz wichtig, darauf komme ich gleich!) auch von mir bewegt werden darf. Südkorea hat eine sehr eigene Praxis bei der Umschreibung von ausländischen Führerscheinen: den Autolappen bekommt man problemlos umgetauscht, er beinhaltet automatisch die Berechtigung zum Fahren von Zweirädern bis 125 ccm.
Für alles darüber gelten keinerlei außerhalb von Korea erworbene Führerscheine, sondern man muß zwingend eine gesonderte Prüfung absolvieren, die gewissen Aufwand erfordert.
Die „Seoul Driving Academy“ bietet auch für Expats eine entsprechende Möglichkeit an, die im Idealfall drei Tage erfordert, drei Theorie- sowie zehn Praxisstunden umfaßt, wobei an einem Tag maximal vier Praxisstunden möglich sind. Man muß keine theoretische, wohl aber die Praxisprüfung am Schluß der zehn Übungsstunden absolvieren. Diese wird immer dienstags und samstags abgenommen und besteht im möglichst fehlerfreien Befahren eines speziellen Kurses auf dem Übungsplatz der Fahrschule, deren Prüfer von der staatlichen Führerscheinbehörde anerkannt sind. Der Fahrkurs besteht aus vier Elementen, dessen erstes tatsächlich auch erfahrenen Fahrern den Schweiß auf die Stirn treiben kann: man muß eine ca. 1m breite Gasse befahren, die nach einer Fahrzeuglänge rechtwinklig nach links abbiegt und nach drei weiteren Fahrzeuglängen ebenso rechtwinklig nach rechts. Man darf dabei die Ränder des Kurses nicht mit den Rädern berühren. Dort ist ein Sensorkabel eingelassen, welches bei Berührung einen Fehler aufzeichnet. Der weitere Verlauf sind eine S-Kurvengasse, die problemlos zu befahren ist, ein schmaler Geradeausstreifen und eine relativ breite Slalomgasse, die beide mit etwas Übung gut zu bewältigen sind. Wenn man diesen Kurs nach insgesamt ca. 35-40 Sekunden fehlerfrei bzw. mit maximal einem Fehler (z.B. Fuß runter oder Rand berührt) absolviert hat, ist man fertig.
Man hat Gelegenheit, während der Praxisübungsstunden diesen Kurs hunderte Male jeweils ca. 50 Minuten am Stück (danach ist zehn Minuten Pause, man checkt per elektronischer Karte neu ein, was peinlich genau überwacht wird) stupide zu befahren, wobei zur Prüfung nur der aktuelle Versuch gewertet wird, der auch schon mal schiefgehen kann. Dann muß man zum nächsterreichbaren Prüfungstermin nochmals antreten. In den letzten Fahrstunden vor der Prüfung schaltet der Instrukteur die Anlage scharf, so daß man testen kann, wie man durchkommt. Ich hatte das „Glück“, die Prüfung zu allem Überfluß bei strömendem Regen zu machen, habe aber beim ersten Versuch bestanden. Neben diversen administrativen Anforderungen kostet der Spaß umgerechnet ca. 250 Euro. Die Prüfung kostet extra (ca. 25 Euro), die Ausstellung des Führerscheins selbst auf der zentralen Behörde ca. 5 Euro. Das ist zwar alles in allem günstig, bindet aber wie gesagt drei Tage.
Vor allem aber braucht man viel Geduld und Langmut… Die SDA wirbt mit englischsprechenden Mitarbeitern, letztlich sind die Kenntnisse der Fahrlehrer zwar ausreichend, aber schon sehr begrenzt. Wenn in den Theoriestunden auch Koreaner sitzen, wird der Unterricht auf Koreanisch gehalten, was aber unproblematisch ist, da man dort im Grunde nur seine Zeit absitzen muß und die Stunden keinerlei Erkenntnisgewinn bringen. Man bekommt u.a. einen Videofilm mit englischen Untertiteln (z.T. abenteuerliche Übersetzung) gezeigt, in dem so bahnbrechende Hinweise wie „man muß den Kinnriemen am Helm auch schließen, damit er schützt“ vermittelt werden.
Die Praxisübungen sind wie beschrieben hochgradig eintönig und ausschließlich auf das Bestehen der Prüfung ausgerichtet. Man fährt keinen Meter auf öffentlichen Straßen, zu Fahrtechnik, Fahrzeugbeherrschung, Sicherheitstechnik, Interaktion mit anderen Fahrzeugen etc. wird kein Wort verloren. Die auf dem Platz benutzten Motorräder sind Hyosung GT 250R - brave Zweizylinder, die den ganzen Tag über den Kurs gequält werden: im ersten Gang und mit Standgas…
Alles in allem eine „interessante“ Erfahrung, die alternativlos ist, wenn man in Korea Motorrad fahren will. Jammern und Wehklagen helfen nichts, man muß da durch, andernfalls bekommt man sein Motorrad (jedenfalls als Expat) weder versichert, geschweige denn zugelassen. Ein schönes Gefühl, nach (in meinem Fall) 35 Jahren Motorradpraxis bestätigt zu bekommen, daß man sein Gefährt auch hier bewegen darf, ist es allemal…
Nun habe ich seit Anfang November auch das Kennzeichen für meine NC und die ersten Touren in die nähere Umgebung von Seoul liegen hinter mir. Da der Herbst hier außergewöhnlich schön ist und die Straßen alles in allem in sehr gutem Zustand sind, macht das Fahren Spaß und man gewöhnt sich schnell an den quirligen Verkehr, in dem das DCT seine Trümpfe natürlich voll ausspielt. Seoul nimmt man trotz seiner 10 Millionen Einwohner kaum als Megacity wahr, weil sie in einer bergigen Umgebung liegt und die Stadtteile auch durch den Han-Fluß gut voneinander getrennt sind. Die Entfernungen sind spürbar größer und die Ausdehnung natürlich mit keiner europäischen Stadt vergleichbar. Der Autoverkehr ist streckenweise unglaublich zäh und stauintensiv, auf den z.T. achtspurigen Magistralen am Fluß und auf den großen Brücken herrscht im Grunde Dauerstillstand. Mit dem Zweirad ist man da deutlich besser und schneller unterwegs, um den Preis einer erhöhten Gefährdung natürlich. Letztlich fahren die Koreaner aber relativ defensiv, Ausnahmen sind Taxi- und Busfahrer, von denen es nur zwei Typen gibt: entweder vollkommene Phlegmatiker, die aber auch stur Kurs halten, selbst wenn es eng wird oder Hektiker, die in jede Lücke springen und alle anhupen, die vermeintlich im Weg stehen. Empfindlichen Mägen ist das unzuträglich, weil der permanente Wechsel zwischen Gas- und Bremspedal (jeweils in den Endstellungen benutzt) Brechreiz hervorrufen kann. Eine Pest sind wie überall die omnipräsenten Smartphones und ihre darauf starrenden Besitzer: Fußgänger laufen einfach auf die Fahrbahn und wähnen sich in einer Schutzblase – sie schauen nicht mal auf, wenn vor ihnen notgebremst wird, um sie nicht einfach umzunieten. Autofahrer verpennen Ampelphasen, weil WhatsApp wichtiger ist und das Allerschärfste sind die Moped- und Rollerkuriere, die auf ihren abenteuerlich umgebauten Gefährten (dazu später mehr) regelrechte Armaturenbretter angebracht haben, in denen sie bis zu sechs Telefone (das war der bisher von mir beobachtete Rekord) betreiben, auf denen Bestellungen im Sekundentakt eingehen, Navigation angezeigt wird oder ein Trickfilm läuft. Bedient wird das alles selbstredend während der Fahrt. Für diese Kaste Verkehrsteilnehmer gelten sichtlich auch keine Regeln: man fährt bei Rot, nutzt Fußgängerüberwege zum Wenden oder Abbiegen, Einbahnstraßen sind nonexistent, Fußwege nicht zwingend tabu. Beladen mit allem Möglichen und Unmöglichen sichern sie die Versorgung einer extrem konsumorientierten Metropole und sind nicht wegzudenken. Interessant auch die Kleiderordnung: im Sommer gern in T-Shirt, Shorts und Adiletten, aber immer mit Knie- und Ellenbogenschützern (die im Ernstfall sofort verrutschen und nicht etwa irgendetwas schützen)… Jetzt schon eher mal mit richtigen Motorradklamotten (wird ja schon bißchen frisch), aber Sicherheit steht offenkundig nicht wirklich im Vordergrund. Sehr schön auch die Lenkerstulpen (sieht man auch oft in Frankreich), die man in der Billigvariante mit Plastiktüten und Tape wasserdicht macht. Handschuhe gehen ja wg. Handybedienung gar nicht…
Die technischen Umbauten an diesen Vehikeln würden einem deutschen TÜV-Prüfer Schnappatmung bescheren. Zur Vergrößerung der Ladefläche hinter dem Fahrersitz wird schon mal das Heck verlängert: am Rahmen ein Rohrgestell angeschellt, Schwinge durchgesägt, Vierkantprofil rangebraten, Kette verlängert – feddisch. Manchmal gibt’s noch ein Paar Zusatzfederbeine wg. der größeren Last. Sehr beliebt sind auch Dreirad-Hybride: vorne ein Daelim-Chopper (gerne auch mit Plexiglas-Regenhauben-Überbau), ab Fahrersitz nach hinten verbreitert mit ungefederter Starrachse und Ladeplattform. Fahrverhalten wie ein Konzertflügel: wenn vor dir so ein Ding über eine sechsspurige Kreuzung eiert und durch die Spurrillen ins Hoppeln und Wanken kommt, fällt einem das Vaterunser ganz schnell wieder ein…
Man sieht in Deutschland ja häufig Handwerkerautos von Glasern, die an der Seite so Aufnahmegestelle für Fensterrahmen und –scheiben haben. So was gibt’s hier auch, nur eben an Mopeds, die damit auch Schräglage in Kurven fahren…
Aber genug gelästert. Die „echte“ Motorradgemeinde ist überschaubar, was sicher nicht zuletzt mit der Führerscheingeschichte zusammenhängt, aber auch dem Umstand geschuldet ist, daß die meisten als Statussymbol halt ein Auto haben wollen und ein „großes“ Motorrad dann wirklich reiner Luxus ist. Nichtsdestotrotz sind alle großen Hersteller mit Händlern vertreten. Harley hat seinen Protzpalast ebenso wie BMW (deren Haupthändler heißt hier witzigerweise „Deutsch Motors“), die vier Japaner, Ducati, KTM usw. Auch Exoten wie Indian, Victory, Benelli und MV Agusta gibt’s. Die Heimatmarken Hyosung und Daelim, die taiwanesischen Kymco und SYM sind natürlich allgegenwärtig, spielen aber im Motorrad-Segment keine große Rolle.
Wer sich dann hier für ein Motorrad entscheidet, nimmt auch richtig Kohle in die Hand: die Harleys sind meist in der Christbaumausstattung unterwegs, diverse BMW RnineT mit handabgesteppter Bergziegenpenisleder-Sitzbank und goldeloxierten Handhebeln trifft man ebenso an wie die neue Goldwing in der Rundum-Regenbogen-LED-Illumination. Sehr beliebt ist auch Front- und Heck-Kameraaufzeichnung mit GPS-Tracking, warum auch immer (Südkorea hat kaum Alltagskriminalität, man sieht nagelneue I-Phones auf Kneipentischen, während die Besitzer pieseln gehen)… Vieles läuft hier nach dem Motto „weil man‘s halt kann“. Es gibt eine Reihe von Motorrad-Zubehör- und Klamottenhändlern, die alle in einem bestimmten Viertel angesiedelt sind, so wie alle anderen „Gewerke“ auch. Es gibt eine Straße für Bilderrahmengeschäfte, eine andere für Backzubehör, Haustiere, Wasserhähne und eben auch eine für Motorradkrempel. Macht die Suche mitunter aufwendig und schwierig, ist aber Tradition. Sowas wie OBI oder Mediamarkt, wo man alles an einer Stelle bekommt, gibt’s hier praktisch nicht.
Die Harleyfritzen organisieren offensichtlich öfter gemeinsame Touren, jedenfalls habe ich auf den bisherigen Touren fast immer HD-Gruppen getroffen. Kann natürlich auch damit zusammenhängen, daß sie sich gegenseitig helfen können, wenn wieder so ein Museumseisen stehenbleibt.
NC’s habe ich schon gesehen, die NC X wird auch hier angeboten, ebenso der X-ADV, sind aber vergleichsweise teuer (wie alle Importe, besonders die japanischen).
Zugang zur hiesigen Community ist schwierig wg. der Sprache. Die meisten verabreden sich online in Chatgruppen, da hab ich keine Chance. Ist aber auch nicht schlimm, bin ohnehin meist alleine oder mit der liebsten aller Sozias unterwegs. Lohnenswerte Sträßchen gibt’s hier massig. Wenn man mal aus der Stadt raus ist, wird’s richtig idyllisch: bergig, kurvig, gut zu fahren und immer was zu sehen. Alle Nasen lang hat’s Tempel, Aussichtspunkte, irgendwelche Attraktionen. Es gibt flächendeckend Cafés, Kneipen (wo man aber schauen muß, was es zu essen gibt, nicht alles ist unser Geschmack), man findet überall benutzbare Toiletten – kurz: sehr angenehmes Reisen meist entlang von Wasserwegen und in den Bergen. Tanken ist auch kein Problem, es gibt ausreichend Zapfstellen, die Preise sind mit denen in Deutschland vergleichbar, aber bei den NC-Verbräuchen ist das eh nachrangig. Ein Nachteil ist, daß man mit Motorrädern egal welcher Größe/Leistung generell nicht auf die Autobahnen darf, die im Übrigen mautpflichtig und alle tempolimitiert sind (max. 110 km/h). Wenn man z.B. zügig an die Ostküste will, ist das hinderlich, weil man schlicht doppelt so lange braucht. Ansonsten ist es natürlich schön, weil die Überlandstraßen vergleichsweise wenig befahren sind und es viel zu sehen gibt.
Für’s erste soll es das gewesen sein, später hoffentlich regelmäßig mehr. Jetzt naht ja hier auch der Winter. Noch kann man tagsüber bei zweistelligen Temperaturen gut fahren, aber gegen Ende November wird es dann zügig richtig kalt und bleibt bis Ende März auch so. Ein paar Bilder füge ich bei, bei Fragen gerne fragen.
Grüße aus Seoul vom
Hondawolf